Der Nahuatl-Begriff „Tonalamatl“ bedeutet in der Übersetzung etwa „Buch der guten und schlechten Tage“. Es handelte sich dabei um einen Wahrsagekalender, der wiederum Teil eines umfassenderen meso-amerikanischen Kalenders der Frühzeit war. Er bestand nämlich aus drei Teilen: dem Tonalamatl oder Wahrsagekalender, der Beschreibung der 52 Zyklen eines Kalenders und ein Kalendarium, das Zeremonien und Rituale umfasste. Solche Kalender waren bei den Maya, den Azteken und wahrscheinlich auch bei den Inka bekannt. Man kennt heute aus den Museen der Welt die in Stein gehauenen Varianten davon. Sie erinnern an riesige Mühlsteine. Es gab aber auch Kalendervarianten auf anderen Materialien.
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Die Bedeutung des Tonalamatl-Wahrsagekalenders
Die Befragung des Tonalamatl geschah immer dann, wenn man Auskünfte über schicksalhafte Ereignisse oder wichtige Vorhaben erhalten wollte. Man musste wissen, ob die geplanten Tage für ein Vorhaben auch wirklich die Günstigen waren. Ausgehend von der Prämisse, dass gewisse Schicksalsmächte über Glück und Unglück, Erfolg oder Scheitern eines Vorhabens entschieden, wollte man das Schicksal günstig stimmen, indem man unglücksverheißende Tage mied. Kalender waren für die alten Völker der Maya, Inka und Azteken überaus wichtig. Das ganze Leben ordnete sich nach ihnen. Man unterscheidet verschiedene Kalender, je nach Zeit in Piktogrammen oder auch in Schriftform verfasst. Schicksalhafte Ereignisse im menschlichen Leben, wie Geburt, Eheschließung und Tod, wurden mit ebenfalls mit vorherigen Befragungen des Tonalamatl kombiniert und auf glücksverheißende Tage gelegt. Dank des divinatorischen Almanachs Tonalamatl konnte man sicher sein, schon vorab über eventuelle Unglückszeichen informiert zu sein und noch reagieren zu können. Bis zur spanischen Conquista wurden solche Wahrsagungen im zentralen Mexiko regelmäßig frequentiert. Das heilige Kalenderjahr wurde dabei in 260 Tage aufgeteilt und Tonalpohualli genannt. Man unterteilte es anschließend in 20 so genannte Trecena, die jeweils 13 Tage ausmachten. Jede Seite im Tonalahuatl stand für eine solche Einheit. Jedes Trecenum war mit einer bestimmten Gottheit verbunden, deren Bild auf der jeweiligen Kalenderseite abgebildet war. 13 Tageszeichen und 13 weitere Zeichen wurden ihr zugeordnet. Aus diesen Zeichen konnte man nun Horoskope entwickeln, die auf das jeweilige Trecenum bezogen wurden. Als am Besten erhaltene Tonalamatl-Exemplare sieht man den Codex Borgia und den Codex Borbonicus an.
Der Codex Borbonicus
Der Aztekenkalender mit der Bezeichnung „Codex Borbonicus“ entstand kurz bevor die Spanier die Conquista ausriefen. Er wurde von aztekischen Priestern entworfen. Der heute gebräuchliche Name dieses Kalenders wurde ihm allerdings nicht von ihnen verliehen. Er bezieht sich vielmehr auf den Palais Bourbon in Frankreich. Dort wird der Codex Borbonicus heutzutage in der Bibliothèque de l’Assemblée Nationale aufbewahrt. Es gab bereits Bestrebungen zweier internationaler Wissenschaftler, den Aztekenkalender stattdessen in Codex Cihuacoatl umzubenennen, damit er namentlich einen Bezug zum ethnischen Ursprungsland hat. Betrachtet man den Codex, sieht man ein einzelnes Blatt Amatlpapier von mehr als 14 Metern Länge, das ziehharmonikaförmig gefaltet wurde. Ursprünglich gab es 40 gefaltete Blätter. Je zwei Anfangs- und Endseiten fehlen aber. Wie die meisten Codices dieser Zeit, war auch dieser ursprünglich rein bildhaft. Später wurden aber einige spanische Inschriften ergänzt. Man fragt sich unter Wissenschaftlern, ob der Codex Borbonicus tatsächlich prä-kolumbianisch ist oder ob nicht vielmehr der Platz für spanische Inschriften auf jeder Seite darauf hindeutet, dass er erst später entstand. Möglicherweise handelt es sich auch nur um eine reine Abschrift. Als einer der drei Teile des Codex Borbonicus wurde der Wahrsagekalender Tonalamatl weltbekannt. Der dritte Teil des Codes Borbonicus, der Rituale und Zeremonien umfasst, blieb unvollendet.