Man kann den Begriff „Hydromantie“, der aus dem Griechischen abgeleitet ist, als „Wahrsagerei aus dem Wasser“ bezeichnen. Die Griechen allerdings wandten solche Künste eher selten an. Die Hydromantie stammt eigentlich aus dem Orient. Es geht dabei um die Betrachtung aller Erscheinungen, die sich im, auf oder unter dem Wasser manifestieren. Sie werden beobachtet und ausgewertet, um zu Prophezeiungen zu kommen.
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Die Entwicklung der Hydromantie
Hydromanten gehen davon aus, dass nichts auf Erden zufällig geschieht. So wird es auch als sinnhaft angesehen, wenn sich plötzlich irgendwo eine Quelle auftut oder eine versiegt, wenn eine bestimmte Zahl Aufschläge bei einem Steinwurf über die Wasseroberfläche gezählt werden kann und ähnliches. Die Kunst, Wasserbewegungen zu deuten oder ins Wasser geworfene Holzstückchen in ihrem Auseinandertreiben zu analysieren, wurde nicht von jedem geübt. Sie war im europäischen Raum des Mittelalters vor allem den Zauberern und Hexen vorbehalten. Man ordnete damals den Gewässern Geister und in ihnen lebende Seelen zu. Befragungen von Gewässern oder so genannte Brunnenorakel fanden sich aber auch in anderen Völkern schon seit der Antike. Man weiß beispielsweise aus antiken Reisebeschreibungen, dass es Tempel mit eigenen Quellen gab, an denen regelmäßig hydromantische Orakel abgefragt wurden.
Tibetische Orakelseen und Wassergeister
Es bildeten sich in der Folge verschiedene Arten der Hydomantie aus. In Tibet beispielsweise ging man zum heiligen See Lhamo Lhatso, übersetzt „See der Göttin“, um aus seiner Oberfläche eine Prophezeiung über die Zukunft zu erbitten. Der See unweit der tibetischen Hauptstadt Lhasa galt als Sitz der Gottheit Pälden Lhamo. Er war bekannt dafür, dass an seiner Oberfläche Bilder auftauchten. Bei den Fragen an den See ging es meist um die Auffindung von Reinkarnationen hoher Würdenträger, die jüngst verstorben waren. Auch das jeweilige tibetische Oberhaupt, der Dalai Lama, suchte mindestens einmal während seiner Regentschaft am Lhamo Lhatso Rat über seine Zukunft und den Zeitpunkt seines Todes. Es gab in Tibet noch weitere Orakelseen, die als heilige Orte galten. Wer lange genug auf die Wasseroberfläche eines Sees starrte, konnte in eine Art Trance fallen und sah Bilder oder mystische Schriftzeichen, die er als Hinweise auf seine Fragen deutete. Lichtspiegelungen oder ein plötzlich aufkommender Wind konnten besondere Phänomene erzeugen, die gedeutet wurden. Der Glaube an Wassergeister lebte auch in anderen Völkern. Man wendete sich zuweilen wegen Schutz in Notlagen an sie. In Tibet nannte man sie Nagas, bei uns Nixen, Meerjungfrauen oder Wassermänner. Zu Vorhersagen wurden sie jedoch meist nicht herangezogen.
Moderne Formen der Hydromantie
Heute genügt es oft schon, eine Schale mit Wasser oder gar ein Glas Wasser vor sich hin zu stellen und eine Deutung vorzunehmen. Angenommen wird in diesem Fall, dass die Wasseroberfläche wie ein Spiegel der menschlichen Seele ist. In den einschlägigen Esoterikbuchhandlungen kann man Bücher und Spiele kaufen, die das Wasserorakel erläutern und praktisch anwenden helfen. Das Brunnenorakel, bei dem man Münzen in einen Brunnen wirft und sich dann etwas wünscht, ist auch heute noch bekannt. Wasserorakel der modernen Art werden auch durch zahlreiche Esoterik-Anbieter im Internet angeboten. Ein Kartenspiel, das als Orakel fungiert, wird als „Orakelsee“ bezeichnet. Hier kommt überhaupt kein reales Wasser mehr ins Spiel. Die Sehnsucht des Menschen nach Wasserorakeln scheint jedoch ungebrochen zu sein. Möchte man heute zu den bekannten tibetischen Orakelseen wandern, wird man Probleme mit der chinesischen Regierung und den Einreisebehörden bekommen. Zukünftige Dalai Lamas werden vermutlich darauf verzichten müssen, am Lhamo Lhatso wichtige Voraussagen einzuholen.